Interview mit Andreas Reber

Andreas Reber, Neuer Präsident der Stiftung

Am 26. April 2025 wählte die Ernst Ludwig Kirchner Stiftung Andreas Reber zum neuen Präsidenten. Mit seiner langjährigen Führungserfahrung und seinem starken Bezug zu Davos gewinnt die Stiftung eine profilierte Persönlichkeit.

Willkommen in Ihrer neuen Rolle als Präsident unserer Stiftung!

Was hat Sie persönlich an der Aufgabe gereizt? Worauf freuen Sie sich in Ihrer neuen Rolle als Stiftungsratspräsident?
Mich hat die Möglichkeit gereizt, einen kulturellen Leuchtturm, oder für Davos besser, einen kulturellen Bergkristall wie das Kirchner Museum in eine nächste Entwicklungsphase zu begleiten. Die Verbindung von künstlerischem Erbe, internationaler Ausstrahlung und regionaler Verankerung ist einzigartig. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit dem Stiftungsrat, der Direktorin Katharina Beisiegel und dem gesamten Team eine Strategie zu entwickeln – besonders auch für die kommenden Generationen.

Was macht die Stiftung für Sie besonders – was hat Sie beeindruckt oder berührt?
Gerade in einer Zeit, die von Unsicherheit, Umbrüchen und grossen gesellschaftlichen Fragen geprägt ist, braucht es Orte wie das Kirchner Museum: Orte der Auseinandersetzung, der Erinnerung, der Kreativität und der Hoffnung. Kunst hilft uns, mit Respekt auf die Vergangenheit zu schauen, im Hier und Jetzt realistisch zu bleiben und mit Zuversicht auf die Zukunft zu blicken. Mich beeindruckt, mit wie viel Engagement und Weitsicht die Stiftung über Jahrzehnte hinweg genau diesen Raum geschaffen und bewahrt hat – für Davos, für die Schweiz und weit darüber hinaus. Besonders möchte ich an dieser Stelle auch Günther Ketterer würdigen, der als langjähriger Präsident die Entwicklung der Stiftung entscheidend geprägt hat. Ich kannte seinen Namen aus meiner Zeit in Bern, doch sind wir uns nie direkt begegnet. Erst mit meinem Einsitz im Stiftungsrat habe ich ihn persönlich kennengelernt. Mit dem vertieften Einblick ist mir bewusst geworden, wie umfassend und nachhaltig sein Wirken war. Dafür empfinde ich grossen Respekt.

Welche drei Wörter würden Sie spontan mit Ihrer neuen Rolle verbinden?
Respekt, Realismus, Optimismus. Respekt für die Geschichte und das beeindruckende Fundament, das meine Vorgängerinnen und Vorgänger gelegt haben. Realismus im Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen, vor denen Kulturinstitutionen heute stehen. Und Optimismus für die Zukunft, denn ich bin überzeugt, dass das Werk Kirchners und die Strahlkraft des Museums auch kommenden Generationen viel zu sagen haben.

 

 

Andreas Reber mit seiner Frau Rita, anlässlich der Vernissage der Ausstellung "Zum Schein Architektur" am 9. Juni 2024.

Was sollten unsere Leser:innen über Sie wissen – beruflich, aber auch als Mensch?
Meine Jahre in Asien waren für mich prägend, beruflich wie persönlich. Dort habe ich erlebt, wie viel Kraft in kultureller Vielfalt, Respekt und Offenheit liegt. Und ich habe einen Denkansatz schätzen gelernt, der mich bis heute begleitet:
In Asien ist morgen immer besser, während wir im Westen oft das Gefühl haben, dass morgen immer schwieriger wird. Diese Haltung begleitet mich bis heute:
Ich blicke gerne nach vorn, denke strategisch, gestalte mit Zuversicht und schätze den Austausch mit Menschen, die etwas bewegen wollen. Beruflich habe ich über viele Jahre strategisch geführt, Märkte entwickelt und Teams begleitet, doch im Zentrum stand für mich immer der Mensch. Dabei habe ich gelernt, dass andere Menschen die Welt anders sehen. Das hat nichts mit richtig oder falsch zu tun, es ist einfach anders. Und oft ist genau das der Anfang von etwas ganz Neuem.

Gibt es ein Thema oder eine Überzeugung, das sich wie ein roter Faden durch Ihr Engagement zieht?
Ja – eine Überzeugung, die sich durch viele meiner beruflichen und persönlichen Erfahrungen zieht, lautet «Purpose drives impact, leadership drives culture, and culture drives performance» – oder auf Deutsch: Sinn stiftet Wirkung, Führung prägt Kultur und Kultur bestimmt Leistung.
Ich bin überzeugt: Wer weiss, wofür er etwas tut, entfaltet Wirkung. Gute Führung schafft den Rahmen dafür – und eine starke, von Werten getragene Kultur ist die Grundlage für nachhaltigen Erfolg.
Das Schöne daran: All das ist uns nicht angeboren, sondern kann gelernt, entwickelt und gemeinsam gelebt werden.
Und genau das begeistert mich, in Unternehmen ebenso wie in einer kulturellen Institution wie der unseren.

Welche Themen möchten Sie als Erstes anpacken – gibt es besondere Anliegen, die Ihnen am Herzen liegen?
Am Anfang steht für mich das Zuhören – das genaue Hinschauen, das Kennenlernen der Geschichte dieses Hauses und der Menschen, die es mit viel Engagement geprägt haben und weitertragen. Ich möchte noch besser verstehen, was das Museum stark macht und wo seine Potenziale liegen. Die bisherige Arbeit verdient grosse Anerkennung, und auf der vorhandenen Expertise lässt sich gut aufbauen – kulturell, gesellschaftlich und touristisch.
Ich freue mich dabei auf die Zusammenarbeit mit Katharina Beisiegel. Ihre Kompetenz, ihre kommunikative Stärke und ihr feines Gespür für Qualität habe ich sehr schätzen gelernt. Das schafft Vertrauen – und bildet eine verlässliche Grundlage, um das Museum gemeinsam weiterzuentwickeln und den Wandel aktiv mitzugestalten.

Ernst Ludwig Kirchner, Balkonszene, 1935, Öl auf Leinwand © Kirchner Museum Davos

Erinnern Sie sich an das erste Aufeinandertreffen mit Ernst Ludwig Kirchners Kunst?
Ja, sehr gut. Es war ein spontaner Besuch mit meiner Frau im Kirchner Museum Davos, ohne grosse Erwartungen. Die Direktheit seiner Bilder, die Ausdruckskraft der Farben und Figuren haben mich angesprochen. Besonders erinnere ich mich an das Werk Balkonszene.
Mit Blick auf das Landwassertal und das Tinzenhorn wirkte es, als sei das Bild von der Schatzalp aus entstanden - dort, wo ich 1988 meine Frau kennengelernt habe.

Wenn Sie einen Tag ohne Termine hätten – wie würden Sie ihn verbringen?
Ich würde wohl zuerst prüfen, ob es sich nicht doch um einen Systemfehler handelt. Wenn nicht, dann ganz klar: Carpe Diem! Mir fällt immer etwas ein. Und falls nicht, geniesse ich einfach das gute Gefühl, dass nichts Dringendes auf mich wartet.

Sie haben unter anderem in den internationalen Bereichen Banking und Wealth Management gearbeitet. Wie sind Sie in Kontakt mit der Kunstwelt gekommen?
Ich habe viele Jahre in Asien gearbeitet unter anderem in China, Japan, Thailand, Indien und auf den Philippinen. In dieser Zeit wurde mir bewusst, wie zentral kulturelle Vielfalt und gegenseitiges Verständnis sind. Kunst war dabei nicht nur für mich persönlich bereichernd, sondern oft auch im geschäftlichen Kontext ein verbindendes Element. Gerade in interkulturellen Situationen konnte sie Brücken bauen, wo Worte an ihre Grenzen stiessen und damit zum besseren Verständnis auch in geschäftlichen Fragen beitragen.

Was bereitet Ihnen besondere Freude? Woraus schöpfen Sie Kraft?
Kraft schöpfe ich aus der Zusammenarbeit in Teams, aus dem gemeinsamen Gestalten und Bewegen, aus dem Drang, Dinge voranzubringen und aus der Fähigkeit, aus der Vergangenheit zu lernen. Freude bedeutet für mich auch, Zeit mit Freunden zu verbringen und das Leben bewusst zu geniessen. Und natürlich meine Familie. Wir waren viele Jahre gemeinsam im Ausland und das hat meine Frau, unsere beiden Jungs und mich stark zusammengeschweisst.

Welches war die letzte Ausstellung, die Sie besucht haben?
Die letzte Ausstellung war Wiederentdeckt und Wiedervereint. Rahmen und Bilder von Ernst Ludwig Kirchner, die am 4. Mai 2025 zu Ende ging. Besonders faszinierend fand ich, wie konsequent hier der Fokus auf die Rahmen gelegt wurde. Ein Aspekt, der meistens nur als Fussnote erwähnt wird. Dabei sind Rahmen weit mehr als Beiwerk, sie sind integraler Bestandteil des Kunstwerks. Diese Ausstellung hat eindrucksvoll gezeigt, wie vielschichtig und bedeutungsvoll die Verbindung von Bild und Rahmen sein kann. Ein schönes Beispiel dafür, dass sich im Leben viele Dinge ergänzen und in Kombination einfach besser werden.

Ernst Ludwig Kirchner, Blonde Frau in rotem Kleid, 1932, Öl auf Leinwand, Privatsammlung

Was ist Ihr Lieblingswerk von Ernst Ludwig Kirchner und warum?
Jedes Werk hat seine eigene Faszination. In der letzten Ausstellung hat mich besonders Blonde Frau in rotem Kleid von 1932 berührt. Die Verbindung von Bild und Rahmen ist symbiotisch; der Rahmen greift Farben und sogar den Schleier des Zigarettenrauchs auf. Sehr nah sind mir auch die Werke, die das Tinzenhorn zeigen, das ist für mich einfach Davos. Und dann das Selbstbildnis als Soldat; ein Werk, das haften bleibt. Es zeigt nicht nur den Künstler Kirchner, sondern den verletzlichen Menschen, den Zweifelnden. Es blickt uns direkt in die Augen, ehrlich, ungeschönt, tief.

Herzlichen Dank für das Interview, Herr Reber.

Zum Abschluss noch eine letzte private Frage:

Der perfekte Start in den Tag beginnt für Sie mit …?
Einem Glas Zitronensaft mit lauwarmem Wasser, ein Ritual aus meiner Zeit in Asien. Etwas später folgt dann unverzichtbar ein Espresso, oder zwei. Ohne das geht gar nichts; danach kann die Welt kommen, mit allem, was sie vorhat.