Die Ausstellung ehrt das künstlerische Erbe von vier Schweizer Visionären - Sophie Taeuber-Arp, Max Bill, Gottfried Honegger und Verena Loewensberg. Sie lädt das Publikum ein, die Verbindungen zwischen Kunst, Architektur und Natur zu erkunden. Durch die Integration von Skulpturen im Kirchner Park mit Gemälden und Plastiken im Museum wird ein immersives Erlebnis geschaffen, das die Grenzen zwischen Natur und Kunst verschwimmen lässt.
Konkrete Kunst ist eine bedeutende Kunstrichtung, die in den frühen 1930er-Jahren in Europa entstand und eine Abkehr sowohl von der gegenständlichen als auch der abstrakten Kunst darstellte. Während mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten der Expressionismus in Deutschland als Kunstrichtung de facto als beendet erklärt wurde, entwickelte sich in der Schweiz um die Zürcher Konkreten eine neue avantgardistische Kunstform.
Die Experimentierfreude und der Drang der Expressionisten, neue Wege in der Kunst zu beschreiten, eröffneten auch den Weg für die Konkrete Kunst, neue Formen der künstlerischen Ausdrucksweise zu erforschen. Das Wesentliche der Konkreten Kunst liegt in ihrer Fokussierung auf reine Formen, geometrische Strukturen und klare Linien. Künstlerinnen und Künstler dieser Bewegung strebten nach absoluter Objektivität und einer visuellen Sprache, die frei von jeglicher subjektiven Interpretation oder Symbolik war. Die Werke der Konkreten Kunst betonen die ästhetische Qualität des Materials, die Beziehung zwischen Formen und Farben sowie die präzise Anordnung der Elemente im Raum.
Die Ausstellung würdigt das künstlerische Vermächtnis der vier visionären Schweizer Künstler*innen Sophie Taeuber-Arp, Max Bill, Gottfried Honegger und Verena Loewensberg und lädt das Publikum dazu ein, die Verbindungen zwischen Kunst, Architektur und Natur zu erkunden. Die Skulpturen im Kirchner Park werden durch eine Auswahl an Gemälden und Plastiken im Korridor des Museums und in einem Ausstellungsraum ergänzt. Dies ermöglicht den Besuchenden ein immersives Erlebnis, das die Grenzen zwischen Park und Museumsinnenraum verschwimmen lässt. Gleichzeitig versteht sich die Präsentation als Ausblick auf die parallel gezeigte Ausstellung «Zum Schein Architektur» über Kirchners Studium der Architektur und deren Einfluss auf seine Malerei.
Der Ausgangspunkt dieser Retrospektive liegt in der zeitlichen Überschneidung der künstlerischen Tätigkeit von Ernst Ludwig Kirchner und Sophie Taeuber-Arp. Die konstruktive Bildsprache der Künstlerin mit oft stilisierten Motiven spannt einen Bogen von der Pionierzeit der abstrakt-geometrischen Kunst um 1918 über die konkrete Malerei Verena Loewensbergs bis hin zu den Skulpturen und Gemälden Max Bills sowie den farbigen Plastiken und Bildern Gottfried Honeggers. Malerei und Plastik stehen dabei gleichermassen im Zentrum der Präsentation. Ausgehend von geometrischen Studien, die Ernst Ludwig Kirchner bereits während seiner Studienzeit erstellte, und ergänzt durch ausgewählte malerische Arbeiten aus seinem Œuvre – wie das stilisiert abstrakte Gemälde Junkerboden von 1938 – entfaltet sich ein faszinierender Dialog mit den konstruktivistischen und konkreten Werken der Schweizer Künstler:innen. Kirchners Bildkompositionen erscheinen in einem neuen Licht, da flächige Anordnungen, starke Geometrisierung und ein Farbauftrag in Primärfarben in den Vordergrund treten.
Im Park neben dem Museum verweisen die Skulpturen Pliage C21 und Pliage C20 von Gottfried Honegger als vertikale Farbgebilde in Abkehr von einer repräsentativen Darstellung auf sich selbst. Max Bills Strebende Kräfte einer Kugel widmet sich hingegen dem Verhältnis zweier zusammengehöriger, aber mit Hilfe einer mathematischen Dekonstruktion voneinander getrennter Formäquivalente. Zudem entsteht eine räumliche und ästhetische Beziehung mit den umgebenden Kunstwerken und Bauten sowie mit dem öffentlichen Raum des Kirchner Parks. Honeggers Pliage C25 und Bills Unendliche Fläche in Form einer Säule schaffen im Innenraum des Museums neben weiteren Arbeiten ein völlig anderes Spannungsverhältnis zwischen Plastik und Raum. Die reduzierte Museumsarchitektur von Gigon/Guyer tritt dabei im Inneren und Äusseren mit der zurückhaltenden, aber wohlkomponierten Farbigkeit dieser Arbeiten in einen Dialog, der sich durch unterschiedliche Betrachtungswinkel und die sich wandelnden Licht- und Wetterverhältnisse als ein Prozess der stetigen Neuaushandlung erweist.
Mit der Präsentation diverser Leihgaben aus Schweizer Museen und privaten Sammlungen wirft das Museum mit der diesjährigen Schau der Reihe «Kunst im Kirchner Park» ein erhellendes Schlaglicht auf die verschiedenen Tendenzen konstruktivistischer und konkreter Kunst Schweizer Künstler*innen im 20. Jahrhundert.
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Die in Davos geborene Künstlerin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) gehört der ersten Generation der Konkreten Kunst an. Mit ihrer Arbeit hat sie, ähnlich wie die Expressionisten der Künstlergruppe Brücke, die traditionellen Grenzen zwischen Kunst und Leben aufgelöst. Die Experimentierfreude der Avantgarde-Zirkel in Zürich und Paris, denen sie angehörte, sowie ihre kunsthandwerkliche Ausbildung und Lehrtätigkeit verschmolzen zu einer praktizierten, angewandten Abstraktion, die nahezu alle Lebensbereiche durchdrang. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1943 erstreckte sich ihr Œuvre über Textilien, Möbel, Architektur, Grafikdesign, Malerei, Zeichnung, Skulptur und Relief.
Max Bill (1908–1994) war ein Schweizer Künstler, Architekt, Maler, Bildhauer und Grafikdesigner. Nach einer Ausbildung als Silberschmied studierte er an der Bauhaus-Schule in Dessau unter renommierten Künstlern wie Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer und Paul Klee. 1929 zog er nach Zürich und startete eine vielseitige Karriere als Künstler und Publizist. Mit Otl Aicher und Inge Scholl gründete er die bedeutende Ulmer Hochschule für Gestaltung. Max Bill gilt als Schlüsselfigur der modernen Kunst und des Designs.
Verena Loewensberg (1912–1986) war eine Schweizer Künstlerin aus Zürich. Nach ihrer Ausbildung in Weberei, Stickerei und Farbenlehre wandte sie sich ab 1936 der Geometrie und der abstrakten Kunst zu. Ihr Werk entwickelte sich ohne festes Programm oder theoretische Grundlage: «Ich habe keine Theorie, ich bin darauf angewiesen, dass mir etwas einfällt», sagte sie 1977. Mit einfachen Grundformen wie Dreieck, Kreis und Rechteck schuf sie ein eigenständiges Œuvre, das Emotion mit geometrischer Symmetrie verband. Dabei spielte die Farbe eine zentrale Rolle, wobei sie Schwarz-Weiss, Primärfarben und subtile Zwischentöne meisterhaft einsetzte. Als einzige Frau in der Gruppe der Zürcher Konkreten nahm sie eine besondere Stellung ein. Erst in den 1970er-Jahren erlangte sie breite Anerkennung und wurde 1981 mit einer Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich geehrt.
Gottfried Honegger (1917–2016) verbrachte Teile seiner Kindheit im bündnerischen Sent. 1938 gründete er gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Warja Lavater in Zürich ein Atelier für Grafik, Illustration und Fotografie. Hierbei etablierte er sich schnell als einer der führenden Vertreter des modernen Schweizer Grafikdesigns. In seiner freien künstlerischen Arbeit entwickelte er nach anfänglichen organischen Abstraktionen um 1957 eine konsequent konstruktive Bildsprache. Während seines Aufenthalts in New York von 1958 bis 1960 schloss er sich den avantgardistischen Zirkeln um Al Held, Sam Francis und Mark Rothko an. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Sybil Albers trug Honegger eine umfangreiche Sammlung konstruktiver Kunst zusammen, die seit einiger Zeit ebenfalls in einem Gebäude von Gigon/Guyer im französischen Mouans-Sartoux beheimatet ist.